Für viele Vertreter des klassischen Liberalismus war das Erben ein Relikt aus dem Zeitalter des Feudalismus, als die Stellung eines Menschen in der Gesellschaft schon mit der Geburt festgeschrieben war. Die Weitergabe von Grund und Boden sicherte die soziale Stabilität vormoderner Gesellschaften über Generationen hinweg. Am zuverlässigsten funktionierte das, wenn der Erstgeborene die gesamten Güter übernahm und das Familienvermögen zusammenhielt. Das war der Hintergrund, vor dem die großen Aufklärer gegen das ererbte Eigentum wetterten: Sie sahen darin ein Überbleibsel aristokratischer Privilegien, das den Prinzipien des Marktes, der Meritokratie und der Freiheit des Einzelnen widersprach.
Die Befürworter hoher Erbschaftsteuern betonen, dass den Erben Güter in den Schoß fallen, für die sie nichts geleistet haben. Von „unverdientem Vermögen“ spricht deshalb der Soziologe Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass ein solcher anstrengungsloser Wohlstand den Erben zu einer verringerten individuellen Leistungsbereitschaft, in seltenen Fällen sogar zur Verschwendung verleiten kann. Studien aus den Vereinigten Staaten legen nahe, dass Erben ceteris paribus weniger arbeiten und weniger sparen. Dafür sind sie überdurchschnittlich oft unternehmerisch engagiert.
Erben von Familienunternehmen sind dabei in einer besonderen Position. Einerseits erben sie eine bestimmte Menge an Betriebsvermögen, was sie in vielen Fällen zu wohlhabenden Personen macht. Dieses Vermögen ist aber typischerweise nicht liquide sondern im Unternehmen gebunden und mit ihm einher gehen zahlreiche formelle aber auch informelle Verpflichtungen. Ein befreundeter Unternehmer sagte einmal: "Mein Ziel ist es das Familienunternehmen, das ich geerbt habe zu erhalten. Und wenn ich es übergebe, dann soll es nicht weniger wert sein, als damals zu dem Zeitpunkt, an dem ich es übernommen habe." Unter dieser Maßgabe treffen viele Familienunternehmer ihre geschäftlichen Entscheidungen. Wie u.a. die Ergebnisse unserer ifm-Studien "zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Familienunternehmen" aus den Jahren 2012 und 2014 zeigen, handeln Familienunternehmen in Deutschland tatsächlich überaus verantwortungsbewußt gegenüber ihren Mitarbeitern, den angehörigen Familiengesellschaftern und gegenüber der weiteren Gesellschaft.
Aus Sicht des Erblassers, insbesondere des Familienunternehmers, stellt sich die Sache folgendermaßen dar. Er hat sich das Vermögen zumeist selbst erarbeitet oder es vermehrt, also sollte er nach den Prinzipien der Leistungsgesellschaft auch frei darüber verfügen dürfen. Dass er über den eigenen Tod hinaus bestimmen kann, was mit den Früchten seiner Arbeit geschieht, steigert vermutlich seine Arbeitsmotivation in der Phase seiner unternehmerischer Tätigkeit. Eine hohe Erbschaftsteuer sollte dagegen tendenziell die Leistungsmotivation des Familienunternehmers im Diesseits reduzieren.
Reiche Personen bringen heute vermehrt ihr Betriebsvermögen in Stiftungen ein: Der Erblasser darf dann über den Zweck der Stiftung bestimmen, und die Erben gehen leer aus. So kann das Vermeiden der Erbschaftsteuer zur Triebkraft für gute Taten oder auch als ein Weg gesehen werden, um das Überleben des Unternehmens unabhängig von der Familie langfristig zu sichern.
Am Ende lassen sich die Widersprüche aber nicht auflösen, die zwischen Erben und Erblassern, moralischen Prinzipien sowie gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen bestehen. Deshalb wird es wieder zu zähen Verhandlungen kommen, wenn das Verfassungsgericht die Erbschaftsteuer in ihrer jetzigen Form verwirft.
Michael Woywode