Prof. Woywode auf der "Entrepreneurial State Conference" der Korea International Trade Association in Seoul


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Südkorea befindet sich gegenwärtig in einer schwierigen Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Die Wirtschaft wächst, verglichen mit der Vergangenheit, nur noch geringfügig. Die großen Konzerne, wie Samsung, LG oder Hyundai beherrschen die Wirtschaft aber sie zeigen Anzeichen der Schwäche. Die gewählte Ministerpräsidentin Park Geun-hye wurde gerade wegen Machtmißbrauchs ihres Amtes enthoben und führende Manager von Großkonzernen sitzen wegen Bestechungsvorwürfen im Gefängnis. So kann es nicht verwundern, dass in Südkorea die Suche nach alternativen Wirtschaftsmodellen in vollem Gange ist. Die Korea International Trade Asscoiation (KITA), eine der führenden Wirtschaftsvereinigungen Südkoreas, versucht einen Gegenvorschlag zu entwickleln - den Entrepreneurial State. Auf der KITA-Jahrestagung trafen sich Wirtschaftswissenschaftler aus führenden Industrienationen und südkoreanische Wirtschaftsexperten, um über Alternativen zum vorherrschenden Wirtschaftsmodell zu diskutieren.

Die junge Generation Südkoreas fühlt im Stich gelassen, viele sehen keine Perspektive für sich. Dabei wird Südkoreas Wirtschaft 2017 aller Voraussicht nach um knapp drei Prozent wachsen, die Arbeitslosigkeit steht bei 3,5 Prozent. Das sind eigentlich keine Krisenzahlen. In der Hauptstadt Seoul wird emsig gebaut und fleißig konsumiert. Ein zweiter Blick auf die Zahlen zeigt jedoch: Von den Jungen unter 30 sind zwölf Prozent arbeitslos. Und viele sitzen auf enormen Schulden aus ihrem Studium. Zwei Drittel aller jungen Südkoreaner haben einen Hochschulabschluss, viele sind dann aber für die Jobs, die sie finden, hoffnungslos über- oder fehlqualifiziert. Und werden schlecht bezahlt. Die Wohnungspreise sind astronomisch, die Durchschnittsfamilie ist mit 160 Prozent ihres Jahreseinkommens  verschuldet. Hinzu kommt, dass Südkorea eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt aufweist und schnell altert.

Koreas Ökonomen diagnostizieren eine "Polarisierung" der Wirtschaft - die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. In manchen Vierteln von Seoul ist diese Kluft kaum zu übersehen: Manche Läden und Restaurants verlangen Luxuspreise wie in New York oder London; einige Schritte weiter gibt es etwa das Gleiche für ein Zehntel des Geldes. Das Gangnam Viertel, ein hippes Viertel, das durch den Gangnam-Style-Song weltberühmt wurde, ist so ein Beispiel. 

Südkoreas Wirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig mit BSP-Wachstumraten von bis zu 10% gewachsen. Doch die Löhne hinkten hinterher. Und die Renten noch mehr. Viele Ältere, die sich an die mageren Jahre erinnern und denen es später Jahr für Jahr besser ging, haben das akzeptiert. Doch in der jungen Generation sinkt die Opferbereitschaft merklich und Unruhe macht sich breit.

Südkoreas Wirtschaft ist gegenwärtig nahezu vollständig von den Großkonzernen abhängig

Wenn die Medien in Seoul von einer Wirtschaftskrise reden, denken sie nicht an die Mühen der kleinen Leute, sondern an die Chaebol, das sind etwa 25 riesige Familien-Konglomerate. Samsung, LG, Hyundai und einige andere gehören dazu. Die Medien warnen, dass die Abkühlung der Konjunktur in China, Südkoreas größtem Handelspartner, Unsicherheiten in den USA und der tiefe Ölpreis ihre Exporte belasten könnten und damit das Geschäftsmodell Südkoreas in sich zusammenbricht.

Die Chaebol genießen bis heute eine Sonderstellung - als die Elite, die zusammen mit der Diktatur das "Wunder vom Han-Fluß" geschaffen hat. 1960 noch einer der ärmsten Staaten der Welt, ist Südkorea schneller reich geworden als jedes andere Land. Zusammen mit Militärdiktator Park Chung-hee, dem Vater der heutigen Präsidentin, suchten die Chaebol-Bosse Wirtschaftszweige für künftige Exporte. Der Staat finanzierte ihnen ihre Investitionen, erst in die Textil- und Plastikindustrie, dann in Werften, Autofabriken und später in die Elektronik. Er schirmte den Binnenmarkt gegen ausländische Konkurrenten ab und knebelte die Gewerkschaften. In dieser gelenkten Wirtschaft hatten die Chaebol und ihre Bosse mehr Rechte als kleine Unternehmer, sie erarbeiteten schließlich dringend benötigte Devisen. Was gut war für Samsung, war auch gut für Korea..

Offiziell sind die Privilegien der Chaebol abgeschafft, Südkoreas Markt ist offen. Aber dank ihrer verflochtenen Strukturen kontrollieren die Familien, obwohl sie nur noch zwei bis drei Prozent der Aktien halten, die Konglomerate weiterhin. "Sie saugen die Profite von überall in der Gesellschaft auf", notierte Wirtschaftsprofessor Kim Tae-Dong. Das hat sich angesichts der Nähe von politisch Mächtigen und Chaebol-Vertretern nicht geändert. Tatsächlich ist auch der Sturz der ehemaligen Ministerpräsidentin Park auf die Verquickung von Politik und Wirtschaft zurückzuführen.

Die frühere Präsidentin hatte im Wahlkampf noch versprochen, "die Wirtschaft zu demokratisieren", mithin die Kluft zwischen den Chaebol und dem übrigen Südkorea zu verringern. Sie hatte die Konzerne seither zu mehr Transparenz aufgefordert, aber nichts nachhaltig unternommen. Im Gegenteil. Es gibt informierte Südkoreaner, die Frau Park vorwerfen, sie habe das Rad sogar zurückgedreht. Vermutlich haben sie recht. Ihre Administration hatte die Gesetze für Zeitarbeiter zugunsten der Chaebol gelockert, die Immobilien-Spekulation erleichtert und den Reichen Steuergeschenke gemacht.

Samsung erbringt 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas, Hyundai Motor 13 Prozent

Verglichen mit Deutschland, ist die südkoreanische Wirtschaft in viel höherem Maße von wenigen Konzernen (in Südkorea den Chaebol) abhängig: Der Elektronikriese Samsung allein erbringt 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas, Hyundai Motor 13 Prozent. Nach Schätzungen entfallen bis zu 80% der Wirtschaftsleistung auf die acht größten südkoreanischen Konzerne. Die Profite demonstrieren ihre Macht noch deutlicher: 2013 erwirtschafteten die vier größten Chaebol - Samsung, Hyundai Motor, SK und LG - zusammen 90 Prozent aller Konzerngewinne, Samsung und Hyundai Motor allein 76 Prozent. Die meisten übrigen etwa 25 Chaebol und viele kleinere Unternehmen halten sich derweil nur über Wasser. Kein Wunder, dass die Einstiegsgehälter in den CHäbols mindestens doppelt so hoch liegen wie in kleinen und mittleren Unternehmen. Entsprechendes gilt für die zu erwartenden Lohnsteigerungen.

Manche Experten warnen, die Chaebol seien "too big to fail". Am Beispiel von Nokia zeigte Wirtschaftsprofessor Park Sang-in jüngst in einem Buch auf, wie Südkorea in eine Depression stürzen würde, sollte Samsung so einbrechen wie Nokia. Er fordert einen radikalen Umbau der Chaebol.

Die zehn größten Chaebol hocken zusammen auf 500 Billionen Won Cash-Reserven, 380 Milliarden Euro. Park hat sie aufgefordert, das Geld in die Wirtschaft zurückzupumpen. Samsung und Hyundai Motor kauften deshalb Aktien zurück. Zu einer "Demokratisierung der Wirtschaft" tragen sie damit freilich kaum bei, das Geld bleibt bei denen, die schon Geld haben. Südkorea lebt vom Export, doch der Anteil des Privatkonsums an seiner Wirtschaft steigt, er nähert sich der 50-Prozentmarke. Wenn nun die Exporte zurückgehen, muss die Binnennachfrage aber noch mehr anziehen, damit die Wirtschaft weiter wachsen kann.

Ein alternatives WIrtschaftsmodell – das deutsche und das amerikanische Vorbild

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Südkoreas Vordenker nach Alternativen suchen. Da ist zum einen das Vorbild der deutschen Wirtschaft, das sie schon seit langem fasziniert. Die deutsche Wirtschaft ist geprägt durch zahlreiche mittelständische Unternehmen, die professionell geführt werden und verantwortungsvoll handeln. Insbedondere die Hidden Champion Unternehmen – Global Player in einem Nischenmarkt – haben es Südkorea angetan. Gerne würden sie eine Gruppe von Unternehmen unterhalb der Chaebol aufbauen, die ähnlich performant sind, wie die deutschen Hidden Champion-Unternehmen. Die Südkoreaner nennen diese Unternehmen “Little Giants”. Prof. Woywode sprach über die Besonderheiten der deutschen Wirtschaft, über ihre Stärken aber auch über ihre aktuellen Herausforderungen.

In jüngster Zeit wird in Südkorea aber auch intensiv über eine Wirtschaft nachgedacht, in der Entrepreneurship und Entrpreneurial Spirit eine zentrale Rolle spielen. Das geistige Vorbild ist in diesem Falle die USA und hier das Silicon Valley. Dort wird die Wirtschaft über Prozesse der kreativen Zerstörung kontinuierlich fortentwickelt und es herrscht ein freies Spiel der Marktkräfte. Technologiekonzerne entstehen und wachsen, wenn sie Ideen haben, die ihre Kunden lieben. Andernfalls werden sie durch neue Unternehmen verdrängt. Der Staat sorgt für die Einhaltung der “rules of the game” und engagiert sich allenfalls in der Grundlagenforschung. So oder so – es muß sich etwas ändern in Südkorea. 

 


11.04.17

 

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