Firmen müssen mehr in Wachstum investieren. Interview mit Michael Woywode im Mannheimer Morgen Wirtschaftsmorgen 3. November 2017


Der deutschen Wirtschaft geht es prächtig und auch der Mittelstand profitiert davon. Aber manchmal hat man den Eindruck, dass es den deutschen Unternehmen zu leicht gemacht wird. Prof. Woywode ist davon überzeugt, dass die mittelständischen Unternehmen Themen, die mit Innovation, Wachstum und Weiterentwicklung zu tun haben, nicht hoch genug gewichten.

Interview Mannheimer Morgen - WirtschaftsMorgen              Autor: Tatjana Junker

Herr Woywode, der Mittelstand hat im vergangenen Jahr 1,46 Millionen neue Jobs geschaffen. Konzerne und der Öffentliche Sektor bauten dagegen über 400 000 Arbeitsplätze ab. Woran liegt das?

Michael Woywode: Zunächst profitieren im Moment sowohl große wie auch kleine Unternehmen von der guten wirtschaftlichen Konjunktur. Das ist eigentlich eine optimale Zeit, um mehr Mitarbeiter einzustellen. Allerdings konzentrieren sich Großunternehmen neben dem Wachstumsziel häufig auch stark auf Effizienz und Gewinn. Entsprechend wird investiert. So können sie umsatzmäßig wachsen, ohne vermehrt Beschäftigung aufzubauen. Außerdem verbessern sie ihr Wertschöpfungssystem auf der ganzen Welt und schaffen Jobs eher im Aus- als im Inland. Kleine und mittlere Unternehmen haben die genannten strategischen Möglichkeiten nicht im selben Maße und werden daher - wenn sie umsatzmäßig wachsen können und wollen - eher zusätzliche Beschäftigte einstellen.

Wo liegen die Stärken des Mittelstands?

Woywode: Mittelständische Unternehmen haben häufig die Fähigkeit, sehr schnell auf Marktchancen und neue Bedürfnisse ihrer Kunden zu reagieren. Sie besitzen hohe technische Expertise, sind flexibel, agieren kundennah und sind in der Regel auch regional gut verankert. Inzwischen wird ein Großteil der Umsätze im Mittelstand mit Dienstleistungen erwirtschaftet - und dieser Trend nimmt zu. Meines Erachtens ist das ein Zeichen dafür, dass sich der Mittelstand erfolgreich Umweltveränderungen angepasst hat. Letztlich ermöglicht eine starke und direkte Führung in vielen mittelständischen Betrieben, zumeist ausgeübt durch den oder die Inhaberunternehmer, ein erfolgreiches und verantwortungsvolles Handeln.

Das ist aber auch mit Risiken verbunden…

Woywode: Absolut. Die Existenz vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen ist mit der Person des Inhaberunternehmers auf das Engste verknüpft. Fehlentscheidungen eines einzelnen Menschen fallen hier im Zweifel viel stärker ins Gewicht. Dieses Risiko lässt sich aber minimieren.

Wie?

Woywode: Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Mittelständler können sich zum Beispiel Beratung von außen holen. Sie können auch einen Beirat oder einen Aufsichtsrat einrichten. Man kann als Inhaber aber auch ganz auf die absolute Entscheidungsgewalt verzichten und stattdessen ein kompetentes, „kollegiales“ Geschäftsführungsgremium einrichten. In diesem Gremium leitet der Inhaberunternehmer gemeinsam mit berufenen Geschäftsführern die Firma. Schließlich könnte es in manchen aber auch  Fällen ratsam sein, wenn sich der Inhaberunternehmer ganz aus der aktiven Geschäftsführung zurückzieht - und einen neuen Geschäftsführer einstellt, der möglicherweise besser qualifiziert oder engagierter ist als er selbst.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau kommt in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass der Mittelstand zu wenig investiert. Sehen Sie das auch so?

Woywode: Das ist ein Phänomen, das man schon seit mehreren Jahren beobachten kann. Der deutsche Mittelstand investiert sehr konservativ und zurückhaltend. Das mag an den Erfahrungen aus der letzten Finanzkrise liegen. Viele Mittelständler nutzen seitdem für ihre Investitionen vor allem eigene Mittel, die aus den guten Gewinnen der Vorjahre stammen. Bei der Neuaufnahme von Bankkrediten sind sie dagegen eher zögerlich. Und wenn die mittelständischen Betriebe investieren, dann vor allem in den Bestandserhalt der Anlagen. Weniger wichtiger scheinen für sie Investitionen in neue Produkte, in effizientere Abläufe oder in die Expansion zu sein. Dabei sind die Finanzierungsbedingungen aufgrund der niedrigen Zinsen im Moment ja sehr günstig.

Was passiert, wenn die Firmen kein Geld in die Hand nehmen?

Woywode: Wenn die Firmen zu wenig in neue Produkte oder Technologien investieren, riskieren sie, dass sie auf lange Sicht ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Das ist auch insofern schade, als das Geld in vielen Betrieben ja da ist. Die Eigenkapitalquote im Mittelstand ist in den vergangenen Jahren auf durchschnittlich über 30 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Das ist eine sehr positive Entwicklung und spricht für eine solide Geschäftsführung. Allerdings müssen die Firmen ihr Geld auch arbeiten lassen und mehr in weiteres Wachstum investieren.

Wo gibt es noch Nachholbedarf?

Woywode: Bei der Produktivität hinken viele kleine Betriebe den großen hinterher. Sie sind nicht effizient genug in ihren Abläufen. Das mag gut gehen, so lange die Konjunktur läuft. Aber beim nächsten Abschwung kann sie das die Existenz kosten. Die kleinen und mittleren Unternehmen müssen sich meiner Meinung nach auch stärker nach außen öffnen. Wo gibt es neue Technologien oder Materialien, die für mein Unternehmen interessant sein könnten? Woran wird an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen aktuell geforscht, das mich weiterbringen könnte? Was machen internationale Konkurrenten besser und wie kann ich sie übertrumpfen?

Wie sieht es beim Thema Digitalisierung aus?

Woywode: Viele mittelständische Unternehmen verhalten sich bisher beim Thema Digitalisierung abwartend und sind wenig experimentierfreudig. Stattdessen versuchen sie, das Geschäftsmodell, das sie aktuell praktizieren, möglichst unverändert beizubehalten. Und in der jetzigen konjunkturellen Phase haben sie damit sogar noch Erfolg! Die Gefahr ist hierbei, dass sie von Wettbewerbern, die bei der Digitalisierung aktiver sind und bessere Geschäftsmodelle entwickeln, überholt werden.

Welche Trends prägen den Mittelstand im Moment?

Woywode: Die zunehmende Präsenz asiatischer, insbesondere chinesischer Konkurrenten erhöht den Wettbewerbsdruck und wird daher von vielen deutschen Mittelständlern als unangenehm empfunden. Gleichzeitig spornt es sie zu Höchstleistungen an, was langfristig gut ist. Migranten und Geflüchtete als zukünftige Arbeitnehmer im Mittelstand oder auch als Unternehmensgründer sind ein weiterer spannender Trend, den wir beobachten. Hier ergeben sich harte Forderungen für unser Bildungs- und Ausbildungssystem. Nur so wird die Integration von Migranten und Geflüchteten in den Arbeitsmarkt und letztlich in die Gesellschaft gelingen. Der Mittelstand kann bei der Lösung dieser großen gesellschaftlichen Aufgabe einmal mehr eine wichtige Rolle spielen.

Mannheimer Morgen Wirtschaftsmorgen 3. November 2017

 


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