Wirtschaftlicher Ausblick für den Mittelstand im Jahr 2018: grundsätzlich positiv, aber ...


Der Aufschwung, den die deutsche Wirtschaft schon seit Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 erlebt, hat sich merklich beschleunigt. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mit einem Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in der Größenordnung von 2% im laufenden, etwa 2,5% im kommenden Jahr und auch für 2019 prognostizieren sie ein Wachstum des BIP von mehr als 2%. Die Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten, welche in bestimmten Bereichen der deutschen Wirtschaft, wie der Industrie und der Baubranche schon gegeben ist, dürfte im Prognosezeitraum noch spürbar zunehmen. Es ist damit zu rechnen, dass sich in der Folge auch der Lohn- und Preisanstieg verschärft.

Kein Zweifel: die deutsche Wirtschaft befindet sich auf dem Weg in die Hochkonjunktur. Maßgeblich dazu beitragen wird - wie bisher - die Industrie, die von deutlich verbesserten Konjunkturaussichten im Euroraum und dem Rest der Welt profitiert und ihre Export- und Investitionstätigkeit spürbar ausweiten wird. Aber auch der private Konsum und die Bauwirtschaft werden weiterhin kräftig expandieren, wenngleich sich ihr Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum etwas abschwächen wird.

2017 ist es damit nicht so schlimm gekommen, wie es viele vermutet haben. Weder die amerikanische Regierung unter ihrem Präsidenten Donald Trump noch der drohende Brexit konnten der deutschen Konjunktur etwas anhaben.  Sowohl die Wirtschaft insgesamt als auch der Mittelstand boomt in weiten Teilen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass nahezu alle Branchen vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, also auch der Handel und die Dienstleistungsbranchen. Die deutschen Unternehmen beschäftigen mehr Arbeitnehmer als jemals zuvor. Die Steuereinnahmen sprudeln und die meisten Einwohner Deutschlands haben heute mehr Geld in der Tasche als noch vor einigen Jahren. Der Wohlstandsgewinn kommt damit bei weiten Teilen der Bevölkerung an.

So könnte es weitergehen. Muss es aber nicht. Die deutschen Mittelständler sind gut beraten weiterhin wachsam zu sein. Die südeuropäischen Länder, insbesondere Griechenland, Italien und die Türkei bergen noch Überraschungen. Auch die Entwicklung in Frankreich ist mit großen Fragezeichen versehen. Kann der französische Präsident Macron wirklich seine tiefgreifenden Reformen - wie geplant - in Frankreich durchsetzen? Oder scheitert er an den eigenen Ansprüchen. Nach dem Motto: Grand klaxon mais petit moteur („Große Hupe aber kleiner Motor“). Und man sollte auch nicht den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland vergessen, welcher jederzeit die östliche Grenze der EU destabilisieren kann.

Auch in Deutschland selbst läuft nicht alles rund. Die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung und das zu erwartende politische Kompromissprogramm der künftigen Bundesregierung könnten sich ungünstig auf die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gesamtsituation in Deutschland und in der EU auswirken. Notwendige Reformprojekte, wie der Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Ausbau der Verkehrswegeinfrastruktur, eine Bildungs- und Forschungsoffensive, die Förderung strukturschwacher Regionen, die Weiterentwicklung der EU-Institutionen und viele andere Wachstumsprojekte könnten sich verzögern oder sogar ganz unterbleiben. Und es wird interessant sein zu sehen, wie die deutschen und europäischen Finanzpolitiker auf die jüngsten amerikanischen Steuerreformen reagieren, die unter anderem vorsehen, die Unternehmenssteuern von 35% auf 21% zu senken. Inhabergeführte Unternehmen werden mit einem neuen Steuersatz von voraussichtlich 25% belegt. Dies wird dazu führen, dass Anwälte, Ärzte und Immobilienunternehmer ihre Einkünfte umdeklarieren und sich aus der Einkommenssteuer mit ihrem Spitzensteuersatz von 39,6 Prozent verabschieden werden. Die Erbschaftsteuer soll in den USA, bei der Weitergabe von Familienbetrieben, ganz entfallen. Ergänzt wird die Steuersenkung durch die Möglichkeit für Unternehmen, Investitionen sofort in voller Höhe abschreiben zu lassen. Von dieser Regel erwarten sich Ökonomen besondere Wachstumsimpulse. Bei aller Kritik, die Mittelständler gegenwärtig am Handeln bzw. Nicht-Handeln der Politik zu recht äußern: die Mittelständler können sich nicht hinter den Defiziten der Politik verstecken. Sie müssen handeln und - wie auch schon in der Vergangenheit - ihren eigenen Weg finden. Kann der Mittelstand hier von Startups lernen, die typischerweise als besonders erfinderisch und wandlungsfähig gelten? Ich denke, dass dies der Fall ist. Hier einige Anregungen.

Unternehmensgründungen, die sich mit einer neuen Geschäftsidee am Markt etablieren wollen, setzen sich Stretch Goals und betreiben Bootstrapping, wenn sie versuchen, mit ihren begrenzten Ressourcen möglichst hohe Ziele zu erreichen. Und wenn ein gewähltes Geschäftsmodell nicht funktioniert, ist es vollkommen legitim Pivoting zu betreiben, das heißt, die Unternehmensstrategie neu auf die Märkte/Kunden auszurichten. Oder man fängt schnell, ohne große Reue zu zeigen, noch einmal ganz von vorne an (fail fast/ fail early). Diesmal natürlich um viele Erfahrungen reicher (learn quickly). Auch die Fähigkeit zum Work around oder zur Improvisation sowie die Offenheit gegenüber neuem Wissen, die eine schnelle Adaption an sich wandelnde Rahmenbedingungen erlauben, sind bei erfolgreichen Unternehmensgründungen meist sehr stark ausgeprägt.

Deutsche Mittelständler sollten die Herausforderungen, die sich ihnen aktuell stellen, aktiv annehmen und dabei ihr managerielles Verhaltensrepetoire in Richtung auf die Startups erweitern. Dazu müssen sie in ausreichendem Maße in ihr Geschäft (re)investieren, sie müssen innovieren und sie müssen sich und ihr Management professionalisieren. Stillstand bedeutet auf längere Sicht in der Wirtschaft Rückschritt. Es ist ein bischen so wie im Märchen „Alice im Wunderland“. Die Personen in dem Märchen müssen so schnell laufen wie sie können, nur um auf der Stelle zu bleiben. Analog sollten mittelständische Unternehmen im nächsten Jahr alle Energie einsetzen, um ihre Stellung im Markt zu behaupten oder zumindest zeitweise auch zu verbessern. Die Ergebnisse unserer jüngsten Unternehmensbefragungen deuten jedoch darauf hin, dass nicht alle Mittelständler diese Einsicht teilen und entsprechend handeln. Viele Mittelständler sind immer noch zu zögerlich, wenn es darum geht, die Chancen der Digitalisierung auszuloten und zu ergreifen. Die Investitionsneigung des Mittelstands in Innovationen ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Lediglich der gehobene oder große Mittelstand kann hier mit den Großunternehmen mithalten. Es gibt heute eine erschreckend große Produktivitätslücke zwischen mittelständischen Unternehmen und den Großkonzernen. Nach Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau aus dem Jahr 2017 beträgt der Geschäftsumsatz pro Mitarbeiter bei Großunternehmen (> 500 MA) durchschnittlich 180.000 Euro. Dagegen erwirtschafteten Mittelständler (<500 MA) im Durchschnitt 92.000 Euro pro Mitarbeiter. Diese Produktivitätslücke ist in den letzten Jahren erheblich angewachsen. Die Mittelständler sollten nichts unversucht lassen, um diese Produktivitätslücke zu schließen oder zumindest erheblich zu verkleinern. Dann wird auch das nächste Jahr geschäftlich erfolgreich.

Michael Woywode

 


19.12.17

 

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