Geiz ist geil zieht nicht mehr: Der deutsche Mittelstand braucht eine grüne Revolution


Nachhaltigkeit gewinnt in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Das veränderte Nachfrageverhalten zwingt Hersteller dazu, ihre Produktpaletten und Vertriebsstrategien anzupassen. Dabei bietet das Thema nicht nur Herausforderungen, sondern ist gerade jetzt eine Chance - auch für den Mittelstand. Die Autorin Katharina Müller hat zu dem Thema auf Focus Online einen Artikel geschrieben und dafür Michael Woywode sowie weitere Experten interviewt.

Das Bewusstsein, dass wir mit dem Klimawandel einer globalen ökologischen Katastrophe entgegengehen, ist seit Langem da. Ebenso die Gewissheit, dass nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch Unternehmen eine Verantwortung im Umgang mit Ressourcen und bei ihren CO2-Emissionen übernehmen müssen.

Doch auch wenn Klimaschützer immer wieder vor allem große Konzerne wie RWE oder Siemens auf Kieker haben und medienwirksam vor sich hertreiben, entscheidet sich der klimagerechte Umbau anderswo. Und zwar dort, wo das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt: im Mittelstand. Mehr als 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zählen dazu. Zusammen erwirtschaften sie fast mehr als die Hälfte der Wertschöpfung, gut 35 Prozent des Gesamtumsatzes und stellen fast 60 Prozent aller Arbeitsplätze.

Fest steht: Ohne den Mittelstand werden wir unsere Klimaziele meilenweit verfehlen. Denn die Ambitionen der Bundesregierung sind groß: Um die Erderwärmung zu stoppen, soll Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein.

Viele Mittelständler fremdeln mit Klimaschutz

Angesichts dieser Erkenntnis mutet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der DZ Bank bei 700 kleinen und mittelständischen Unternehmen wie ein Tiefschlag für die deutschen Klimaziele an. So haben zwar einige Mittelständler erkannt, dass die Themen wichtiger werden. 40 Prozent der Unternehmen gaben bei der Erhebung an, dass die aktuelle Debatte um Klimaschutz Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen geschaffen oder zumindest das Problembewusstsein im eigenen Unternehmen verstärkt hat. Jedoch: Fast die Hälfte zeigte sich laut DZ Bank völlig unbeeindruckt von den Diskussionen. Und gerade nur einmal jedes zehnte Unternehmen hat bislang konkrete Maßnahmen ergriffen. 

In den Augen von Thomas Krick unterschätzen die Mittelständler dabei aber das Risiko, von Schwierigkeiten überrascht zu werden, weil sie das Thema Nachhaltigkeit nicht ernst genug nehmen. „Konformität mit den sich im Wandel befindlichen gesellschaftlichen Werten und Normen ist eine Voraussetzung zum Erhalt der Wachstumsfähigkeit eines Unternehmens“, sagt der Leiter Sustainability des Geschäftsbereichs Risk Advisory bei Deloitte zu FOCUS Online.

Nachhaltigkeit ist Voraussetzung, wenn Unternehmen wirtschaftlich bleiben wollen

Wie viele beobachtet er, dass Nachhaltigkeit in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt – und somit Teil unserer gesellschaftlichen DNA wird. Das bestätigen auch Zahlen des Umweltbundesamtes. Während 2016 rund die Hälfte aller Befragten angaben, dass Umwelt- und Klimaschutz eine sehr wichtige Herausforderung sei, sind es 2019 mit 68 Prozent deutlich mehr. Dieses gesteigerte Umweltbewusstsein beeinflusst auch das Konsumverhalten. Wie eine Untersuchung von Horn Company zeigt, erwarten gerade die Generationen Y und Z aktive Beiträge von Firmen zu mehr Nachhaltigkeit.

Dadurch können für Unternehmen und Mittelständler auch Chancen entstehen, da sich neue Märkte bilden. Als Beispiel hebt Horn Company das Lebensmittelunternehmen Rügenwalder Mühle hervor, das vom Trend zum veganen Leben profitiert. Bereits fünf Jahre nach Markteinführung habe das Familienunternehmen bereits 30 Prozent seines Umsatzes mit fleischlosen Produkten generiert, so die Studienautoren.

Mehr Nachhaltigkeit ist politisch gewünscht – und wird gefördert

„Es gibt Geld zu verdienen, wenn Unternehmen skalierbare Lösungen für Nachhaltigkeitsprobleme anbieten“, lautet auch die Einschätzung von Deloitte-Ökonom Krick. Das zeige sich in seinen Augen exemplarisch anhand der Wasserstoffindustrie. Die große Hoffnung der Energiewende. Im ihrem Konjunkturpaket hat die Bundesregierung für die Technologie neun Milliarden Euro an Fördergeldern eingeplant. 

Das Beispiel verdeutlicht somit aber auch, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutzbestrebungen politische Unterstützung finden und zunehmend Bestandteil ökonomischer Rahmenbedingungen werden. „Wer sich jetzt mit den politisch initiierten großen ökologischen und sozialen Zielen beschäftigt, kann generell mit regulatorischem Rückenwind rechnen. Wer Geschäfte verfolgt, die diesen Zielen widersprechen, der dürfte hingegen eher auf Gegenwind stoßen“, so Krick.

Die Unternehmen haben also jetzt die Wahl: Umbau und Anpassung des Geschäftsmodells oder teils immense Strafen, – weil sie etwa ihre oder die CO2-Emissionen ihrer Produkte nicht reduzieren können – die den Profit und die finanziellen Mittel für die Innovationskraft des Unternehmens langfristig schmälern werden.

Mittelstand: Nachhaltigkeit immer wichtiger auch für die Talentsuche 

Auch Michael Woywode vom Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim sieht Nachhaltigkeit als eine zentrale Voraussetzung, auf die mittelständische Unternehmen setzen sollten, wenn Unternehmen in Zukunft wirtschaftlich bleiben wollen. „Der Mittelstand wird sich gar nicht dagegen wehren können, nachhaltiger zu werden. Stattdessen sollte er sich möglichst frühzeitig auf diese neuen Bedingungen einstellen, wenn er es nicht schon gemacht hat.“ Noch könnten Unternehmen eine gute Nachhaltigkeitsstrategie als echten Wettbewerbsvorteil nutzen.

Eine überzeugende Nachhaltigkeitsstrategie stifte zudem Vertrauen und stelle Glaubwürdigkeit her, so der Wirtschaftsforscher. „Immer mehr Menschen sind für Nachhaltigkeitsthemen sensibilisiert. Das heißt, dieser Faktor wird in Zukunft auch immer wichtiger für das Employer Branding“, sagt Woywode FOCUS Online. Gerade mit Blick auf die Rekrutierung neuer Mitarbeiter sollten man diesen Effekt, der sich positiv auf die Markenbildung auswirke, nicht unterschätzen. Mitarbeitern sei es zunehmend wichtig, dass sie bei einem Unternehmen arbeiten, das sich korrekt beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit verhalte.

Woywode ist zuversichtlich, dass sich der deutsche Mittelstand „zum Musterschüler beim Thema Nachhaltigkeit“ entwickelt – und dadurch in den kommenden Jahren auch im globalen Vergleich einen Vorteil hat. „Im Grunde genommen werden jetzt Vorteile, die Produzenten in Entwicklungsländern im Vergleich zu Produzenten am Standort Deutschland hatten, entwertet. Und das massiv.“ Denn billig zu produzieren, ohne Rücksicht auf Ressourcen und Klima, reicht nicht mehr. 

Trotzdem wünscht sich der Ökonom auf politischer Ebene einen größeren Dialog zwischen Politik und Unternehmen, um den ambitionierten Klimaziele auf deutscher sowie europäischer Ebene Genüge zu leisten. Der Grund: „Den Branchen fällt es unterschiedlichen schwer, dem Thema Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Um die Maßnahmen fair und auch handhabbarer zu machen, müssten Politik und Wirtschaft noch mal in den Dialog treten.“

Artikel von Katharina Müller in Focus online 2.10.2020


23.10.20

 

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